Diagnostik und Therapie – allgemein

und Martina Kahl-Scholz2



(1)
Schule für Gesundheitsberufe, Bereich MTRA, Klinikum Dortmund gGmbH, Dortmund, Deutschland

(2)
Möhnesee, Deutschland

 



Sie haben endlich Urlaub und sind spontan für zwei Wochen nach Lanzarote geflogen, um sich von der stressigen Prüfungsphase der letzten Tage zu erholen. Am dritten Tag gehen Sie früh am Morgen am Strand spazieren, sehen aufs Meer und stolpern über einen Lavastein. Sie fallen unglücklich mit dem Unterarm auf den harten Kieselstrand und spüren umgehend einen scharfen Schmerz, der Ihnen die Tränen in die Augen treibt und die Luft nimmt. Keuchend, und den Arm in Schonhaltung an ihren Körper gepresst, schaffen Sie es so gerade, sich hinzusetzen. Ein Einheimischer, der den Unfall gesehen hat, kommt zu Ihnen gerannt und fragt auf Spanisch, ob alles in Ordnung ist. Vor Schmerzen laufen Ihnen die Tränen über das Gesicht. Da Sie kein Spanisch sprechen, versuchen Sie sich dem Mann auf Englisch verständlich zu machen, aber er kann kein Wort verstehen. Er scheint aber zu begreifen, dass Sie sich ernstlich verletzt haben und fragt „Ambulancia?“. Sie nicken schwach und haben das Gefühl, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Der Mann stützt Sie am gesunden Arm und bringt Sie mit seinem Auto zum nächstgelegenen Krankenhaus. In dem sehr kleinen Haus versteht man aber ebenfalls kein Englisch. Man begreift zwar, dass etwas mit Ihrem Arm nicht zu stimmen scheint, kann aber die Pathologie nicht genau einordnen. Als Sie in die Röntgenabteilung geführt werden, fällt Ihnen plötzlich wieder ein, dass Sie kurz vor Ihrem Urlaub bereits Terminologie und Anatomie in Ihrer Ausbildung hatten und plötzlich wissen Sie, wie Sie sich verständlich machen können….

Was sagen Sie dem spanischen Personal?


12.1 Einführung in die medizinische Fachsprache



M. Kahl-Scholz


(3)
Möhnesee, Deutschland

 

Die medizinische Fachsprache setzt sich hauptsächlich aus griechischen und lateinischen Begriffen zusammen. Häufig bildeten griechische Begriffe die Grundlage, die dann in die lateinische Sprache übersetzt wurden. Das liegt daran, dass die Wurzeln der Medizin vor allem im klassischen Altertum zu finden sind. Natürlich gibt es mittlerweile für jedes Land die entsprechenden Übersetzungen, aber der Ursprung, die „Terminologica anatomica “, ist geblieben und ermöglicht allen im Gesundheitsbereich tätigen Personen über Sprachhindernisse hinweg auf eine gemeinsame medizinische Fachsprache zurückgreifen zu können.

Im Folgenden sind einige wichtige medizinische Begriffe nach Bereichen in Tabellen dargestellt, um das Lernen zu erleichtern (Tab. 12.112.4), wobei vor allem ein Schwerpunkt auf das knöcherne Skelett gelegt wurde (Tab. 12.3). Die rechte Spalte enthält eine kurze „Übersetzung“ bzw. Erklärung, was der Begriff bedeutet – manchmal hilft dieses Wissen, um sich eine Eselsbrücke bauen zu können. Manche Begriffe, wie z. B. Fibula (das Wadenbein), haben ihre Benennung aufgrund ihrer Form erhalten. Da kann es durchaus hilfreich sein zu wissen, dass Fibula in der direkten Übersetzung „Spange, Klammer“ heißt, denn ein wenig erinnert dieser Knochen an eine derartige Form.



Tab. 12.1
Allgemeine Lage- und Richtungsbezeichnungen*
































































































































































Begriff

Bedeutung

Übersetzung/Ursprung

Rumpf

Kranial (cranial) oder superior

Zum Kopfende hin

Cranion = Schädel

Kaudal (caudal) oder inferior

Zum Steißende hin

Cauda = Schwanz

Ventral oder anterior

Zur vorderen Bachwand (nach vorne) hin

Venter = Bauch

Dorsal oder posterior

Zum Rücken (nach hinten) hin

Dorsum = Rücken

Medial

Zur Mittel (Median-)ebene hin

Medius = in der Mitte befindlich

Median

Innerhalb der Mittel (Median-)linie

Medianus = genau in der Mitte liegend

Lateral

Seitlich der Mittel (Median-)linie

Latus = Seite, Flanke

Zentral

Zum Körperinneren hin

Zentral = im Mittelpunkt, den Mittelpunkt bildend

Peripher

Zur Körperoberfläche hin

Peripheres = sich herum bewegend, kreisförmig

Gliedmaßen (Arme, Hände, Beine und Füße)

Proximal

Zum Rumpf hin

Proximus = Nächster

Distal

Zum Ende der Gliedmaßen hin

Distalis = körperfern

Ulnar – medial

Zur Elle (Ulna) hin

Ulna = Elle

Radial – lateral

Zur Speiche (Radius) hin

Radius = Strahl, Speiche

Tibial – medial

Zum Schienbein (Tibia) hin

Tibia = Schienbein

Fibular – lateral

Zum Wadenbein (Fibula) hin

Fibula = Heftnadel, Spange, Klammer

Palmar – volar

Zur Handinnenfläche hin

Palma = Handfläche

Plantar

Zur Fußsohle hin

Planta = Fußsohle

Anterior

Zur Vorderseite hin

Ante = vorn, vorwärts

Posterior

Zur Rückseite hin

Post = hinten, nach

Kopf

Rostral

Nach vorn gelegen

Rostralis = „Schnabelwärts“, in Richtung Mund

Frontal

Zur Stirn hin

Frons = Stirn

Nasal

Zur Nase hin

Nasus = Nase

Basal

Zur Schädelbasis hin

Basis = Basis, Grundlage

Okzipital (Occipital)

Zum Hinterhaupt hin

Occiput = Hinterhaupt

Allgemein

Dextra/dextrum

Rechts

Id.**

Sinistra/sinistrum

Links

Id.**

Achsenbezeichnungen

Vertikal

Senkrecht, lotrecht; Scheitel-linig

Vertex = Scheitel

Longitudinal

Längs verlaufend

Longitudinalis = längs gerichtet, verlaufend

Transversal

Quer verlaufend

Transversus = uqer liegend, verlaufend

Sagittal

Von ventral nach dorsal, Pfeilrichtung

Sagitta = Pfeil

Ebenen

Median

s. o.

s. o.

Sagittal

s. o.

s. o.

Frontal

s. o.

s. o.

Transversal

s. o.

s. o.


* Mod. nach Zilles, Tillmann 2010

**Id. = Idem („dasselbe“ – wie in der Spalte zuvor)



Tab. 12.2
Bewegungsbegriffe*
















































Begriff

Bedeutung

Übersetzung/Ursprung

Extension

Streckung

Extensor = Strecker

Flexion

Beugung

Flexor = Beuger

Retroversion

Rückwärtsneigung

Retro = zurück, rückwärts, verteo = wenden

Anteversion

Vorwärtsneigung

Ante = vorn, vorwärts, verteo = wenden

Lateroversion

Seitneigung

Latus = Seite, Flanke, verteo = wenden

Abduktion

Wegführen der Gliedmaßen vom Körper weg

Abducens = wegführend, zur Seite spreizend

Adduktion

Hinführen der Gliedmaßen zum Körper hin

Adductor = heranführend

Rotation

Innen- und Außendrehung um die vertikale Achse

Rotatio = Drehung

Zirkumduktion

Umführung

Circum = ringsum


* Mod. nach Zilles, Tillmann 2010



Tab. 12.3
Grundlegende Begriffe der Anatomie


































































































































































































































































































































































































































































































Begriff

Bedeutung

Übersetzung/Ursprung

Allgemein

Nervus (N.), Mehrzahl Nervi (Nn.)

Nerv

Nervus = Nerv, Sehne

Arteria (A.), Mehrzahl Arteriae (Aa.)

Arterie

Arteria = Pulsader, Luftröhre

Vena (V.), Mehrzahl Venae (Vv.)

Vene

Vena = Ader, Blutader, Saugader

Ramus (R), Mehrzahl Rami (Rr.)

Ast

Id.*

Fascia

Faszie (Muskelbinde)

Fascia = Binde, Band

Musculus (M.), Mehrzahl Musculi (Mm.)

Muskel

Musculus = Muskel

Ligamentum (Lig.), Mehrzahl Ligamenta (Ligg.)

Band

Id.*

Os

Knochen

Os = Mund, Öffnung, Knochen

Nodus (N.)

Knoten (z. B. Lymphknoten)

Id.*

Vasa

Gefäß (z. B. Vasa lymphatica)

Vas, vasis = Gefäß, Blutgefäß

Cavitas

Höhle (z. B. Cavitas oris)

Cavitas = Höhle, Hohlraum

Bursa

Beutel bzw. Schleimbeutel

Bursa = Beutel, Tasche

Articulatio

Gelenk (z. B. Articulatio cubiti)

Articulatio = Gelenk

Foramen

Loch, Öffnung

Id.*

Obere Extremität ( Abschn. 12.2.2 ) und Brustwand

Sternum

Brustbein

Id.*

Clavicula

Schlüsselbein

Id.*

Scapula

Schulterblatt

Id.*

Costa

Rippe

Id.*

Humerus

Oberarmbein

Id.*

Ulna

Elle

Id.*

Radius

Speiche

Radius = Strahl, Speiche

Manus

Hand

Manus = Hand , eigentlich Arm

Digiti manus

Finger

Digitus = Finger, Zehen

Pulmo

Lunge

Id.*

Cor

Herz

Cor, cordis = Herz

Thymus

Thymusdrüse

Thymos = Lebenskraft, Gemüt

Vertebra

Wirbel

Vertere = drehen, wirbeln

Columna vertebralis

Wirbelsäule

Columna = kleine Säule, Zäpfchen

Vertebrae cervicales

Halswirbel

Cervix = Hals, Nacken

Vertebrae thoracica

Brustwirbel

Thorax = Brustkorb

Vertrebrae lumbalis

Lendenwirbel

Lumbus = Lende

Discus intervertebralis

Zwischenwirbelscheibe (Bandscheibe)

Discus = (Wurf-)Scheibe

Untere Extremität ( Abschn. 12.2.3 )

Os coxae

Hüftbein

Coxa, Coxae = Hüfte, Schenkelbein

Os ilium

Darmbein

Ilia, Ilium = Weiche, Unterleib, Eingeweide

Os ischii

Sitzbein

Ischium = Gesäß, Hüftgelenk

Os pubis

Schambein

Pubes = Scham, Schamgegend

Os sacrum

Kreuzbein

Sacer, sacra, sacrum = heilig, Heiligtum

Femur

Oberschenkelknochen

Id.*

Patella

Kniescheibe

Patella = Schale, Oberschale

Tibia

Schienbein

Tibia = Pfeife, Flöte

Fibula

Wadenknochen

Fibula = Spange, Klammer

Pedis

Fuß

Pes, pedis = Fuß

Digiti pedis

Fußzehen

Digitus = Finger, Zehen

Situs ( Abschn. 12.2.4 )

Ösophagus

Speiseröhre

Oiso = hereintragen, transportieren

Gaster

Magen

Gastrum = Magen, Bauch

Duodenum

Zwölffingerdarm

Duodenus = zwölfach

Jejunum

Leerdarm (Teil des Dünndarms)

Jejunus = nüchtern, leer

Ileum

Krummdarm (Teil des Dünndarms)

Eileσ = winden, krümmen

Kolon

Dickdarm (Grimmdarm)

Kohlýein = zurückhalen

Appendix (vermiformis)

(Wurm-)Fortsatz

Appendix = Anhang, Anhängsel, Zugabe

Rektum

Enddarm, Mastdarm

Rectus = gerade

Hepar

Leber

Häpar = Leber

Vesica biliaris

Gallenblase

Biliosus = reich an Galle, vesica = Blase

Pankreas

Bauchspeicheldrüse

Pan = alles, krea = Fleisch, Drüsensubstanz

Splen (Lien)

Milz

Splän = Milz

Ren

Niere

Id.*

Glandula suprarenalis

Nebennieren

Supra = über

Ureter

Harnleiter

Oureéin = Harn lassen

Vesica urinaria

Harnblase

Urina = Harn

Urethra

Harnröhre

Oureéin = Harn lassen

Uterus

Gebärmutter

Udáram = Bauch

Vagina

Scheide

Vagina = Scheide des Schwertes

Prostata

Vorsteherdrüse

Prostátäs = Vordermann, Beschützer

Penis

Glied, Schwanz

Pés = männliches Glied

Kopf und Hals ( Abschn. 12.2.5 )

Cranium

Schädel

Kranión = Schädel, Hirnschale

Os frontale

Stirnbein

Frons, frontis = Stirn, Stirnseite

Os ethmoidale

Siebbein

Èthmos = Sieb

Maxilla

Oberkiefer

Id.*

Mandibula

Unterkiefer

Mandere = Kauen

Dens

Zahn

Dens, dentis = Zahn, Zinke

Os palatinum

Harter Gaumen

Palatum = Gaumen, pala = Wölbung

Viscerocranium

Gesichtsschädel

Kránion = Schädel, Hirnschale

Os nasale

Nasenbein

Nasus = äußere Nase

Os lacrimale

Tränenbein

Lacrima = Träne

Os zygomaticum

Jochbein

Zygón = Joch, Jochbein

Os sphenoidale

Keilbein

Sphän = Keil

Os occipitale

Hinterhauptsbein

Occiput = Hinterhaupt

Os temporale

Schläfenbein

Tempus = Schläfe, Zeit

Os parietale

Scheitelbein

Paries = Wand

Oculus

Auge

Ocus = Auge, Augenhöhle

Os, oris

Mund

Os, oris = Mund, Eingang, Höhle

Auris

Ohr

Id.*

Lingua

Zunge

Lingere = lecken, schmecken

Gingiva

Zahnfleisch

Geng = Beule, Buckel

Parotis

Ohrspeicheldrüse

Id.*

Tonsilla

Mandel

Tónsles = dehnen, ausdehnen

Larynx

Kehlkopf

Id.*

Glandula thyroidea

Schilddrüse

Thyroideus = schildförmig

Trachea

Luftröhre

Trachys = rau


Enzephalon

Gehirn

Kephalé = Kopf

Zerebrum

Großhirn

Cerebrum = Hirn, Großhirn

Zerebellum

Kleinhirn

Cerebellum = kleines Hirn

Rhombencephalon

Rautenhirn

Rhombós = Raute

Thalamus

Sehhügel

Thálamos = Gemach, Höhle, Schlafgemach

Hypothalamus

Unterhalb des Thalamus gelegener Teil des Diencephalon

Hypó = unter

Diencephalon

Zwischenhirn

Diá = zwischen, durch

Mesencephalon

Mittelhirn

Mésos = Mitte

Glandula pinealis

Zirbeldrüse

Pinus = Fichte

Truncus encephali

Hirnstamm

Truncus = Stamm, Stock

Gyrus

Hirnwindung

Gyrós = Krümmung, Kreis, Windung

Lobus, Lobulus

Hirnlappen, -läppchen

Lobus = Lappen, Hülse

Ventriculus

Hirnkammer

Id.*

Liquor cerebrospinalis

Hirnflüssigkeit

Liquor = Flüssigkeit, flüssiger Zustand

Nn. Cranialis

Hirnnerven

Id.*

Meningen

Hirnhäute

Meéninx = Haut

Dura mater

Harte Hirnhaut

Durus = hart, Mater = Mutter, beschützende, ernährende Hülle

Arachnoidea

Spinnwebenhaut, mittlere Hirnhaut

Aráchne = Spinne

Pia mater

Weiche Hirnhaut

Mater = Mutter beschützende, ernährende Hülle

Medulla oblangata

Verlängertes Mark

Medulla = Mark, Innerstes; oblangatus = verlängert

Medulla spinalis

Rückenmark

Medulla = Mark, Innerstes

Nervi spinalis

Spinalnerven

Spina = Dorn, Rückgrat, Wirbelsäule

Sonstiges

Cutis

Haut

Kýtos = Haut, Hülle

Pilus, Capillus

Haar

Pilus = einzelnes Haar

Unguis

Nagel

Unguis = Nagel, Kralle


*Id. = Idem („dasselbe“ – wie in den Spalten davor)



Tab. 12.4
Begriffe der Krankheitslehre








































Begriff

Bedeutung

Übersetzung/Ursprung

Pathologie

Krankheit, krankhaftes Geschehen

Pathos = Leiden

Tumor

Schwellung, Geschwulst

Id.*

Benigne

Gutartig

Benignus = gutartig, bonus = gut

Maligne

Bösartig

Malignus = bösartig

Karzinom

Bösartiger Tumor, Krebs

Karkinos = Krebs, namao = zerfressen

-itis, -itidis

Wortendung, die einen entzündlichen Vorgang beschreibt (z. B. Nephritis, Appendizitis)
 

Trauma

Verletzung, Schädigung, Wunde

Trauma = Wunde


*Id. = Idem („dasselbe“ – wie in der Spalte davor)

Bedenken Sie, dass bei den hier aufgeführten Begriffen nur eine Auswahl dargestellt ist und kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Es lohnt sich in jedem Fall, für den Unterricht ein kleines Vokabelbuch parat zu haben, in dem Sie neu hinzukommende Begriffe vermerken.

Um sich die Richtungsbegriffe besser vorstellen zu können, zeigt Abb. 12.1 die wichtigsten Bezeichnungen direkt am Menschen.


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Abb. 12.1
Richtungen und Lagebezeichnungen. (Aus Zilles, Tillmann 2010)


Wer zuerst kommt….

Wer in der Wissenschaft als erster etwas entdeckt, hat auch das Recht, seiner Entdeckung einen Namen zu geben. Einige wissenschaftliche Entdeckungen wurden unabhängig voneinander, aber von unterschiedlichen Wissenschaftlern mehrfach gemacht, ohne dass zunächst klar war, dass es sich um ein und dieselbe Entdeckung handelte. Das ist teilweise der Grund, warum es für einige Krankheiten etc. mehrere Bezeichnungen, sog. Synonyme gibt. Und auch einer der Gründe dafür, dass man sich 1895 in Basel auf eine gemeinsame grundlegende Nomenklatur einigte: die „Terminologia Anatomica“.


12.2 Topographische Anatomie



M. Kahl-Scholz


(4)
Möhnesee, Deutschland

 

Die Anatomie ist die Lehre davon, wie der (gesunde) menschliche Körper im Detail aufgebaut ist. Der Begriff kommt vom griechischen Wort „anateimnein“ („ana“ = auf; „tomos“ = Schnitt), was „zer-/aufschneiden“ oder „sezieren“ bedeutet (bevor es solche bildgebenden Möglichkeiten wie das konventionelle Röntgen oder die Computertomographie gab, war die einzige Möglichkeit, den menschlichen Körperbau zu erforschen, Leichen zu sezieren und so Stück für Stück zu begreifen, wie die unterschiedlichen Organe Organsysteme bilden und die Organsysteme untereinander zusammenhängen). Begründer der „modernen“ Humananatomie war Andreas Vesal (1514–1564).


Andreas Vesal (1514–1564)

Andreas Vesal lebte in den Niederlanden und studierte 1531 Medizin. Damals waren Sektionen an Leichen verboten und wirklich genaue Darstellungen gab es kaum. Vesal konnte sich damit nicht abfinden und wollte sich mit eigenen Augen über die Anatomie des Menschen Gewissheit verschaffen. Deshalb nahm er die Leiche eines Hingerichteten und erstellte daraus ein Skelett, das im Vergleich mit den ursprünglichen Lehren von Galenos Abweichungen zeigte.

Er führte erste öffentliche Sektionen durch und ermöglichte so auch anderen Studenten, die menschliche Anatomie mit eigenen Augen sehen und begreifen zu können.

Die Anatomie lässt sich in unterschiedliche Betrachtungsweisen einteilen:





  • Makroskopisch: mit dem bloßen Auge oder der Lupe sichtbar


  • Mikroskopisch: mithilfe von Mikroskopierverfahren sichtbar


  • Deskriptiv: beschreibende Darstellung der gewonnen Erkenntnisse – also das, was Sie hier gleich im Folgenden lesen können


  • Systematisch: Zuordnung von Körperteilen in funktionelle oder entwicklungsgeschichtliche Gruppen


  • Topographisch: räumliche Vorstellung über die Lage der Teile im Körper und über ihre Beziehungen zueinander – also das, was durch die Radiologie mittlerweile sehr gut dargestellt werden kann


  • Funktionell/klinisch: Betrachtung der Organfunktionen/-systeme unter klinischer Gewichtung

Die folgenden Übersichten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellen eine anatomische Auswahl dar, die vor allem das knöcherne Skelett und die inneren Organe einschließt. Sie ersetzt in keinem Fall einen ausführlichen anatomischen Atlas.


12.2.1 Grundlagen



Jeder fängt klein an…


Der Grundbaustein, mit dem Alles beginnt und der Alles ausmacht, ist meistens so klein, dass er mit dem bloßen Auge nicht mehr zu erkennen ist: die menschliche Zelle (cellula = Kämmerchen). Die meisten Zellen sind gerade mal 7–20 μm (also etwa 0,007–0,02 mm) groß, und nur die größeren Zellen, wie die Eizelle oder Knochenmarkriesenzellen mit einem Durchmesser von 0,1 mm, lassen sich so eben gerade mit dem Auge sehen.

Zellen bestehen aus der sie umgebenden Membran, dem Plasma mit den Zellorganen (die als „Organellen“ bezeichnet werden) und Zelleinschlüssen (z. B. dem Zytoskelett, das in seiner Funktion dem Skelett des menschlichen Körpers gleicht).

Ganz besonderer Bedeutung kommt dabei dem Zellkern zu, denn in ihm befindet sich die Erbinformation in Form der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Sie dient als Vorlage für viele Bausteine des menschlichen Körpers, wie z. B. Proteine und wird bei der Zellteilung repliziert. Bestimmte Zellen (Stamm- und Vorläuferzellen) durchlaufen immer wieder einen neuen Zellzyklus, der neue Zellen hervorbringt, während alte absterben. Genau das stellt auch die Sollbruchstelle dar, wenn es um das Thema „Strahlenschäden“ geht.


Wenn die DNA bestrahlt wird….

Wenn ionisierende Strahlen auf die DNA-Doppelstränge treffen, können Veränderungen, sog. Mutationen an den Strängen auftreten. Diese reichen von Brüchen in den Doppelsträngen über den Angriff von freien Radikalen auf einzelne Bausteine der DNA bis hin zur Auflösung der Nucleotidbasen.

Wenn die geschädigte Zelle sich nun teilt und die DNA transkribiert wird, kann es aufgrund der Schäden entweder zum Zelltod oder zur Replikation einer defekten, mutierten DNA und damit auch Zelle kommen. Kommt es zum Zelltod, spricht man von deterministischen Strahlenschäden (akute Sofortschäden, nichtkanzeröse Spätschäden, teratogene Schäden). Ist die Mutation Folge der Bestrahlung, handelt es sich um stochastische Strahlenschäden, die meist erst Jahre später auftreten (z. B. Karzinome).

Es gibt viele unterschiedliche Zellformen im menschlichen Körper, die im Verbund dazu in der Lage sind, ein Gewebe, ein Organ und im Endeffekt ein Organ- oder Funktionssystem zu bilden.


Zusammen ist man stark


Die 4 Gewebehauptgruppen sind:



1.

das Epithelgewebe (Deckgewebe, das die Oberflächen des Körpers – auch die der Organe – schützend umschließt),

 

2.

das Binde- und Stützgewebe (das die Form bestimmter Teile des Körpers ausmacht und ihren Zusammenhalt gewährleistet), z. B. kollagene Fasern, retikuläres Gewebe, Fettgewebe, aber auch Knorpelgewebe,

 

3.

das Muskelgewebe (das die besondere Fähigkeit zum Zusammenziehen – der Kontraktion – hat), z. B. die glatte und quergestreifte Muskulatur,

 

4.

das Nervengewebe (in dem viele variable Zellformen enthalten sein können).

 


Der Knochen


In der Radiologie waren die ersten Strukturen, die sich unter Röntgenbestrahlung besonders gut hervorhoben, die menschlichen Knochen.

Der Knochen kann als eigenständiges Organ betrachtet und in verschiedene Typen unterteilt werden:



1.

Platte Knochen, wie sie z. B. den Schädel oder das Brustbein bilden

 

2.

Lange Röhrenknochen (s. u.)

 

3.

Kurze Knochen, wie sie an Hand und Fuß vorkommen

 

4.

Unregelmäßige Knochen, z. B. Wirbel oder Knochenanteile der Schädelbasis

 


Aufbau Röhrenknochen

Der Röhrenknochen setzt sich aus den Gelenkenden (Epiphysen), dem Knochenschaft (Diaphyse), der Wachstumszone zwischen Schaft und den Knochenenden (die für die Zeit des Wachstums vorhanden ist und sich später schließt, was als Epiphysenlinie sichtbar bleibt) und den Ansätzen (Apophysen) für die Sehnen der Muskeln, die die Knochen durch ihre Kontraktion bewegen, zusammen.

Klassische Röhrenknochen sind der Oberarmknochen (Humerus) oder der Oberschenkelknochen (Femur).


Leichtbauprinzip

So kompakt der Knochen auf den ersten Blick wirkt, ist er auf den zweiten gar nicht: Knochen gehört zwar zu den dichtesten Geweben des menschlichen Körpers, ist aber im Inneren (Substantia spongiosa) durch feine Bälkchen durchzogen, zwischen denen kleine Lufträume bleiben – das sog. Leichtbauprinzip. Manche Knochen sind sogar von richtigen Höhlen durchsetzt (z. B. die Nasennebenhöhlen im Gesichtsschädel).


Knochenmark

In den Knochen befindet sich das Knochenmark (gelbes wie rotes), das für die Blutbildung verantwortlich ist. In den platten, kurzen und unregelmäßigen Knochen befindet sich das Mark zwischen den Bälkchen, in den langen Röhrenknochen hingegen in einer eigenen Höhle des Schaftes. Das rote Knochenmark wird durch zellteilungshemmende Stoffe und ionisierende Strahlen, wie sie zur Therapie von Krebserkrankungen eingesetzt werden, gefährdet. Das ist der Grund, warum z. B. nach einer Hochdosis-Chemotherapie u. U. eine Knochenmarkstransplantation nötig sein kann.


Wachstumsfugen

Während der Knoch en noch wächst, befindet sich zwischen Epi- und Diaphyse die Epiphysenfuge, in der das Material für das stetige Wachstum nachgeliefert wird. Zunächst wird Knorpel gebildet, der nach und nach verkalkt und zu Knochengewebe umgewandelt wird, das dann an den bestehenden Knochen angebaut wird.


Die Verbindung von Knochen zu Knochen


Knochen können auf unterschiedliche Art miteinander in Verbindung stehen. Nicht alle diese Arten verstehen sich im klassischen Sinne als Gelenk, da sie nicht immer eine Bewegung bzw. Biegung zulassen. Man unterscheidet:





  • Verbindungen, die durch Bindegewebe gefestigt sind, sog. Bandfugen (z. B. die Bänder zwischen den Wirbelbögen oder die Nähte zwischen den Schädelknochen)


  • Verbindungen, die durch Knorpelgewebe zusammengehalten werden (z. B. zwischen Rippen und Brustbein oder die Schambeinfuge)


  • Verbindungen, die aus mehreren Komponenten (Gelenkspalt, -schmiere, -kapsel, ggf. –scheibe und Bindegewebe) zusammengehalten und als „echte Gelenke“ bezeichnet werden.


„Echte“ Gelenke

Diese Gelenke ermöglichen in einem größeren Umfang die Bewegung des menschlichen Skeletts. Diese Gelenkformen werden nach ihrer Form und Funktion in folgende Arten eingeteilt:





  • Kugelgelenk (z. B. Schulter- oder Hüftgelenk) mit 3 Bewegungshauptachsen


  • Eigelenk (z. B. proximales Handgelenk) mit 2 Bewegungshauptachsen


  • Sattelgelenk (z. B. Handwurzel-Mittelhand-Gelenk des Daumens) mit 2 Bewegungshauptachsen


  • Ebenes Gelenk (z. B. Wirbelbogengelenke der HWS) mit 2 Bewegungshauptachsen


  • Radwinkelgelenk (z. B. Kniegelenk) mit 2 Bewegungshauptachsen


  • Scharniergelenk (z. B. Fingermittel- und Endgelenke) mit 1 Bewegungshauptachse


  • Radgelenk (z. B. Radioulnargelenk) mit 1 Bewegungshauptachse


12.2.2 Obere Extremität/Rumpf


Zu der oberen Extremität und dem Rumpf werden die Wirbelsäule, der Brustkorb, die Brusteingeweide (Herz, Thymusdrüse etc.), der Schulterkomplex sowie Arm und Hand gezählt.


Wirbelsäule (Columna vertebralis)


Die Wirbelsäule setzt sich aus 5 Abschnitten zusammen (Abb. 12.2):


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Abb. 12.2
Wirbelsäule (Columna vertebralis). (Mod. nach Tillmann 2010)





  • Der Halswirbelsäule (HWS), die aus 7 Halswirbeln besteht (C1–C7)


  • Der Brustwirbelsäule (BWS ), die aus 12 Brustwirbeln besteht (T1–T12)


  • Der Lendenwirbelsäule (LWS) mit ihren 5 Lendenwirbeln (L1–L5)


  • Dem Kreuzbein, das sich aus verschmolzenen Wirbeln zusammensetzt (S1–S5)


  • Dem Steißbein mit 3–5 rückgebildeten Steißwirbeln (Co1–Co3, Co5)

Die Wirbelsäule ist doppelt s-förmig gekrümmt. Dabei unterscheidet man eine Lordose (nach vorne gerichtete, konvexe Krümmung an Hals- und Lendenwirbelsäule) und eine Kyphose (nach hinten gerichtete, konkave Krümmung an Brustwirbelsäule und Kreuzbein).

Im Auto befindet sich die sog. „Lordosenstütze“. Damit ist die nach vorne gerichtete Wölbung in der unteren Mitte des Sitzes gemeint, die sich der Wirbellordose im Lendenwirbelbereich anpasst. Wenn Sie sich also schwer merken können, was die Lord- und was die Kyphose ist, dann denken Sie an diese Sitzform.


Wirbelkörper

Ein „typischer“ Wirbel besteht aus dem Wirbelkörper (Corpus vertebrale), dem Wirbelbogen (Arcus vertebrae) mit den unterschiedlichen Fortsätzen und dem Wirbelloch (Foramen vertebrale), durch das das Rückenmark zieht.

Die Fortsätze des Arcus vertebrale sind:

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Mar 19, 2016 | Posted by in GASTROINTESTINAL IMAGING | Comments Off on Diagnostik und Therapie – allgemein

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