Diagnostik und Therapie – Urogenitales System

, Martina Kahl-Scholz3, Claudia Marks2 und Christel Vockelmann4



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Praxis für Nuklearmedizin, Strassburger Allee 2-4, 45481 Mülheim, Deutschland

(2)
Klinik für Radioonkologie, Universitätsklinikum Tübingen, Hoppe-Seyler-Str. 3, 72076 Tübingen, Deutschland

(3)
Möhnesee, Deutschland

(4)
Radiologische Klinik, Christophorus-Kliniken GmbH, Coesfeld, Deutschland

 




19.1 Allgemeines



M. Kahl-Scholz


(5)
Möhnesee, Deutschland

 


19.1.1 Topographische Anatomie


Zum urogenitalen System zählen die Nieren, die Harnleiter, die Harnblase und die Harnröhre.

Die Nieren liegen im Retroperitonealraum ventral der 12. Rippe, wobei die rechte Niere durch die darüber liegende Leber weiter nach kaudal verschoben ist als die linke Niere. Die Nieren sind etwa 4 cm dick, 7 cm breit und 11 cm lang (wie die Milz). Sie zeigen einen seitlichen und mittleren Rand (Margo medialis et lateralis), eine Vorder- und Hinterfläche (Facies anterior et superior) und einen oberen und unteren Pol (Extremitas superior et inferior).

Die Niere wird in Mark (Medulla), Rinde (Cortex) und Nierenbecken (Pelvis renalis) unterteilt. Vom Nierenbecken aus führt der Harnleiter (Ureter) den Urin über einen Bauch- und einen Beckenteil (Pars abdominalis et pelvica) 30–50 cm zur Harnblase (Vesica urinaria). Die Harnblase ist das vorderste Organ im kleinen Becken. Sie liegt der Symphysis pubica an. Die Harnblase wird unterteilt in eine Spitze (Apex vesicae), einen Körper (Corpus vesicae), einen Blasengrund (Fundus vesicae) und einen Harnblasenhals (Collum vesicae), der in die Harnröhre (Urethra) übergeht. Die Urethra ist bei der Frau ca. 3–5 cm lang, beim Mann hingegen 25–30 cm.

Die Vorsteherdrüse (Prostata) ist etwa kastaniengroß, umschließt die Urethra und liegt vor der Harnblase. Sie wird unterteilt in eine Basis und ein kegelförmiges Ende (Basis et Apex prostatae). Ferner unterscheidet man den Isthmus prostatae sowie einen Lobus dexter, sinister et medius.


19.1.2 Funktion


In erster Linie dienen die Nieren als Ausscheidungsorgane der Bildung von Harn. Sie regulieren dadurch aber auch den Wasserhaushalt, das Säure-Basen-Gleichgewicht und den Salzhaushalt. Ferner produzieren sie das Hormon Erythropoetin und haben einen großen Einfluss auf die Regulation des Blutdrucks.


19.2 Radiologische Diagnostik



C. Vockelmann


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Radiologische Klinik, Christophorus-Kliniken GmbH, Coesfeld, Deutschland

 


19.2.1 Sonographie


Wie schon im vorigen Kapitel beschrieben ist die Sonographie auch in der Diagnostik des urogenitalen Systems das am einfachsten verfügbare bildgebende Verfahren, das sowohl als Screeningmethode als auch zur Abklärung bei Beschwerden einsetzbar ist. Geachtet wird dabei vor allem auf Raumforderungen im Nierenparenchym und einer Aufweitung des Nierenbeckens als Hinweis auf einen Harnaufstau. Die Harnblase lässt sich im gefüllten Zustand ebenfalls sehr gut beurteilen. Zur Restharnbestimmung wird die Sonographie ebenfalls eingesetzt. Hierzu wird das Blasenvolumen nach Blasenentleerung sonographisch bestimmt.

Sowohl die männlichen als auch die weiblichen Geschlechtsorgane lassen sich sonographisch gut beurteilen. Hierzu wird nicht nur der transabdominelle Ultraschall eingesetzt. Mit Spezialschallköpfen lassen sich auch eine transvaginale oder transrektale Sonographie durchführen. Diese werden in Deutschland in aller Regel von Urologen oder Gynäkologen durchgeführt. In anderen Ländern, z. B. Frankreich, gehört auch dieses zum Untersuchungsspektrum von Radiologen.


19.2.2 Konventionelle Röntgendiagnostik


Die konventionelle Radiologie hat im Rahmen der urogenitalen Bildgebung keinen relevanten Stellenwert mehr. Das intravenöse Ausscheidungsurogramm ist in der Diagnostik von Nierensteinen vollständig von der Computertomographie abgelöst. Trotzdem sollte bei der Diagnostik des Abdomens auch in konventionellen Aufnahmen natürlich immer auf Verkalkungen im Verlauf der ableitenden Harnwege geachtet werden. Rundliche, etwas wolkig imponierende Verkalkungen im kleinen Becken bei älteren Frauen entsprechen in aller Regel verkalkten Uterusmyomen, einem gutartigen Knoten der Gebärmutter.

Die Frage nach Harnleitersteinen sollte mit einer Niedrig-Dosis-Computertomographie der ableitenden Harnwege abgeklärt werden.


19.2.3 Durchleuchtung/Angiographie


Auch die Indikationen für Durchleuchtungsuntersuchungen oder diagnostische Angiographien des Urogenitalsystems sind in den letzten Jahren sehr eingeschränkt worden. Eine typische Indikation ist die Zystographie (Tab. 19.1) zum Ausschluss einer Harnblasenverletzung nach operativen Eingriffen im kleinen Becken.



Tab. 19.1
Untersuchungsprotokoll Zystographie
























Patientenvorbereitung

Blasenkatheter legen lassen. Metall im Untersuchungsbereich entfernen

Positionierung

Rückenlage

Bildfrequenz

Einzelbilder

Kontrastmittel

100–200 ml, ggf. zusätzlich Kochsalz

Standardeinstellungen

ap, RAO, LAO, streng seitlich

Aufnahmekriterien, Besonderheiten

Durchleuchtungskontrolle während der Füllung, möglichst Prallfüllung anstreben zum Ausschluss einer Harnblasenverletzung

Eine ähnliche Untersuchung, nämlich ein Miktionszysturethrogramm (MCU), ist in der Pädiatrie eine typische Untersuchung. Hierbei wird ebenfalls die Harnblase prall mit Kontrastmittel gefüllt. Zusätzlich sollte dann eine Miktion der kleinen Patienten erfolgen. Indikation hierfür ist der Verdacht auf einen vesikoureteralen Reflux, der zu Nierenbeckenentzündungen führt. Dieser Reflux tritt vor allem bei hohem Druck in der Harnblase auf, dieser entsteht in erster Linie während der Miktion.

Aus strahlenhygienischen Gründen sollte bei den Kindern weitestgehend auf Seitaufnahmen verzichtet werden. Auch die Aufnahmefrequenz und die Durchleuchtungszeit sollten auf ein Minimum reduziert werden.


19.2.4 Computertomographie


Methode der Wahl ist die Computertomographie in der Detektion von Harnleitersteinen (Tab. 19.2). Diese sind in aller Regel kalkdicht und lassen sich so hervorragend in der Computertomographie auch nativ und in einer Niedrigdosistechnik nachweisen. Je nach CT-Gerät entspricht die notwendige Strahlendosis in etwa einer Röntgenuntersuchung des Abdomens in 2 Ebenen.



Tab. 19.2
Untersuchungsprotokoll CT Abdomen zur Steinsuche
























Patientenvorbereitung

Rückenlage, Metall im Untersuchungsgebiet entfernen

Positionierung

Rückenlage

Scanbereich

Nieren bis Harnblasenboden

Röhrenspannung, -strom

80–120 kV, low-dose-Protokoll mit Dosismodulation

Kontrastmittel

Nativ

Reformationen

Axiale in Weichteilfenstertechnik, coronar in Weichteilfenstertechnik

In der Diagnostik von Nierentumoren ist die Computertomographie gut einsetzbar. Dabei erfolgt die Diagnostik der Nieren meistens im Rahmen eines CT-Abdomens. Bei gezielter Frage nach einem Nieremtumor sollte zur Beurteilung einer Kontrastmittelaufnahme ggf. eine Nativuntersuchung der Nieren angefertigt werden. Neben einer arteriellen Spirale erfolgt eine zweite Untersuchungsserie in der nephrographischen Kontrastmittelphase etwa 100–150 sec nach der Kontrastmittelgabe. Bei Fragestellungen der harnableitenden Wege kann eine CT-Urographie ergänzt werden. Hierzu muss die Ausscheidung des Kontrastmittels in die Ureteren 7–10 Minuten nach Kontrastmittelgabe abgewartet werden. Hilfreich kann die niedrigdosierte Gabe von Furosemid, einem Diuretikum, sein.

In der Diagnostik der Genitalorgane im kleinen Becken spielt die Computertomographie erst in zweiter Linie eine Rolle. Auch hier erfolgt bei jeder aus anderem Grund angefertigten CT-Untersuchung eine Mitbeurteilung von Uterus oder Prostata. Bei sonographisch nachgewiesenen malignomverdächtigen Raumforderungen wird die CT zum Staging und Suche nach Fernmetastasen durchgeführt. Klassisch ist hier z. B. die Frage nach einer Peritonealkarzinose eines Ovarialkarzinoms.


19.2.5 Kernspintomographie


Die Kernspintomographie ermöglicht, im Gegensatz zur Computertomographie, auch ein Lokalstaging von Tumoren des inneren Genitale (Tab. 19.3).



Tab. 19.3
Untersuchungsprotokoll MRT gynäkologische Becken
























Patientenvorbereitung

Metall, Scheckkarte etc. ablegen lassen

Untersuchung wenn möglich mit gefüllter Harnblase

Positionierung

Rückenlage

Spule

Body-Array

Scanbereich

Kleines Becken

Sequenzen/Wichtungen

T2w sagittal, T1w sagittal, paracoronar/paraaxial zweite Ebene auf den Tumor gekippt T1w und T2w, ggf. coronar STIR zur Detektion von Lymphknotenvergrößerungen

T1w FS sagittal und T1w FS paracoronar/paraaxial zum Tumor

Kontrastmittel

1fache Dosis

Zur Abgrenzung von Endometrium- bzw. Uteruskarzinomen bieten sich sagittale Sequenzen an, hier lässt sich der Tumor nach Kontrastmittelgabe hypointens zum Myometrium abgrenzen. Beurteilt werden müssen die Infiltrationstiefe und insbesondere eine Infiltration in Nachbarorgane, da hierdurch das therapeutische Procedere beeinflusst werden kann.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Tumoren, die T2-gewichtet hyperintens abgrenzbar sind, zeichnet sich das Prostatakarzinom durch eine hypointense Signalgebung in T2-gewichteten Aufnahmen ab. Daher ist für die Detektion eines Prostatakarzinoms, das im Gegensatz zur benignen Hyperplasie der Prostata in der Außendrüse der Prostata wächst, eine dünnschichtige T2-Bildgebung notwendig. Diese wird in aller Regel sowohl axial als auch coronar und sagittal durchgeführt. Verbessert wird die Bildgebung durch zusätzliche Verwendung einer Endorektalspule zur Body-Array.

Zusätzlich lässt sich das Prostatakarzinom mithilfe der Spektroskopie nachweisen. Hier nutzt man die Tatsache, dass das Prostatakarzinom mehr Cholin und weniger Citrat als gesundes Prostatagewebe aufweist. Eingesetzt wird diese Technik aber sicherlich nur bei einem Bruchteil der Patienten mit einem Prostatakarzinom. Bei der Mehrheit der Patienten reicht die urologisch-sonographische Diagnostik zur Therapieentscheidung.


19.3 Nuklearmedizinische Diagnostik



U. Blum


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Praxis für Nuklearmedizin, Strassburger Allee 2-4, 45481 Mülheim, Deutschland

 


19.3.1 Nierenszintigraphie


Die Nieren sind für die Produktion des Urins zuständig. Mit dem Urin werden verschiedene Substanzen ausgeschieden, die der Körper nicht mehr benötigt. Damit steuern die Nieren den Wasser- und Elektrolythaushalt. Andere Aufgaben liegen in der Steuerung des Blutdrucks über das Renin-Angiotensin-System sowie der Blutbildung über das Erythropoetin.

Die Nieren bestehen anatomisch aus der Nierenrinde und dem Nierenmark, zum ableitenden System gehört das Nierenbeckenkelchsystem mit dem angeschlossenen Harnleiter.

Die kleinste funktionelle Einheit der Nieren ist das Nephron. Es besteht aus einem Gefäßknäuel (= Glomerolum) mit einem zu- und ableitenden Gefäß sowie einem ableitenden Sammelrohr.

Nuklearmedizinische Untersuchungen können die Durchblutung der Nieren, die Lage, die Funktion, die Abflussverhältnisse sowie auftretende Veränderungen bei einer Nierenarterienstenose darstellen.

Hierbei werden verschiedene Stoffe verwendet, die an unterschiedlichen Stellen im Nierensystem ausgeschieden, z. T. rückresorbiert oder gestapelt werden.

DTPA (Diethylentriaminpentaessigsäure) wird hierbei direkt im Glomerulum ausgeschieden, MAG3 (Mercaptoacetyltriglycin) im dicken Anteil der Henle-Schleife Glomerulum-nahe. Gestapelt wird DMSA (Dimercaptobernsteinsäure) im weiteren Verlauf der Henle-Schleife kurz vor dem Übergang in das Sammelrohr.


Nierenperfusion DTPA (Diethylentriaminpentaessigsäure)


DTPA wird rein glomerulär filtriert. Damit erlaubt DTPA eine Perfusionsstudie sowie die Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) (Tab. 19.4). Die GFR ist ein Maß für die Nierenfunktion (Tab. 19.5). Indikationen für die Untersuchung sind der Verdacht auf eine eingeschränkte Nierenfunktion, ggf. vor einer Chemotherapie oder Strahlentherapie, sowie die chronische Niereninsuffizienz. Die GFR ist abhängig vom Alter und Geschlecht der Patienten.



Tab. 19.4
Untersuchungsprotokoll DTPA (modifiziert nach Arbeitsanweisung, S. Wieser)
























Patientenvorbereitung

Kontrastmittelkarenz > 48 Stunden

Gute Hydrierung (mindestens 10 ml/kg KG) oral oder i. v.

Größe, Gewicht, Kreatinin (< 3–4 mg/dl), Medikamente

Blase entleeren vor der Untersuchung

Falls vorhanden oder nach Fragestellung:

– Blasenkatheter ggf. abklemmen

– Nierenfistel ggf. abklemmen

Aktivität

150 MBq 99mTc-DTPA, min. 20 MBq

Applikation

Streng i. v.

Akquisition

Rückenlage oder sitzend

Dynamische Akquisition pa, z. B. 240 frames á 7.5 s

LEHR (ggf. mit Zoom)

64 * 64 Matrix; besser 128 * 128 Matrix

Besonderheiten

2 Blutabnahmen ca. 90 und 180 min p. i., genaue Zeit notieren

Berechnung der GFR

Strahlenbelastung

0.005 mSv/MBq



Tab. 19.5
Normwerte GFR. (Modifiziert nach Dtsch Arztebl Int 2009; 106(51-52):849-54)



























































Säuglinge und Kinder

Frühgeburten

> 0,5 ml/min/kg

Neugeborene

> 10 ml/min/m2

2.–8. Woche

16,3–44,6 ml/min/1,73 m2KOF

3.–12. Monat

> 70 ml/min/1,73 m2KOF

1–20 Jahre

> 80 ml/min/1,73 m2KOF

Erwachsene (ml/min/1,73 m2KOF)

Alter [Jahre]

Männer

Frauen

20–29

77–170

71–165

30–39

70–162

64–149

40–49

63–147

58–135

50–59

56–130

51–120

60–69

49–113

45–104

70–79

42–98

39–90

80–89

35–81

32–75

Mar 19, 2016 | Posted by in GASTROINTESTINAL IMAGING | Comments Off on Diagnostik und Therapie – Urogenitales System

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